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Der Komponist Ryuichi Sakamoto ist totGut geköchelt
02.04.2023 von Tobias Stosiek
Er konterte "Kraftwerk" und knutschte mit David Bowie. Vor allem aber war Ryuichi Sakamoto ein universaler Musikmensch: Klassisch ausgebildeter Pianist, Elektropop-Pionier, Filmkomponist. Ein Klangtüftler, der es zum Popstar gebracht hat. Mehr noch: zur Kultfigur. Wie am Sonntag bekannt wurde, ist der Japaner im Alter von 71 Jahren seiner Krebserkrankung erlegen.
Bildquelle: Yasushi Wada
Würdigung
Zum Tod des Komponisten Ryuichi Sakamoto
Zeitgenössische Komponisten erinnerten ihn immer an Chemiker, hat Ryuichi Sakamoto mal erzählt – an Chemiker, die mit ihren Assistenten im Labor "herumköcheln". Er wollte so nie sein, ein Herrscher der Nische. Sakamoto wollte Publikum. Wurde erst Popstar in Japan, dann weltweit Kult. Und hat dabei bewiesen, dass das man auch dann herumköcheln kann, wenn Millionen zuhören, und nicht nur ein paar Laborassistenten.
Ryuichi Sakamoto: ein Radikaler Eklektiker ...
Dabei war gar nicht alles, was er gemacht hat, wahnsinnig experimentierlustig. Bestes Beispiel: das Album "Back to the Basics", erschienen kurz vor der Jahrtausendwende. Meditative Klavierminiaturen, irgendwas zwischen Schumann und Satie, ein wenig Pentatonik dazu, Ergebnis: Kitsch. Andererseits steht genau das für die Freiheit dieses Musikers: Sakamoto war eben Eklektiker. Und zwar ein radikaler, nicht nur im Umgang mit verschiedenen Genres.
Melodien waren so selbstverständlich seins wie Geräusche. Sakamoto collagierte Natursounds zu Klangteppichen wie die Vertreter der Musique concrète, traktierte das Klavier so geduldig mit Baumarktzubehör, dass John Cage begeistert gewesen wäre, und frickelte so konzentriert am Synthesizer, als wäre er Neurochirurg – oder Priester.
... und ein Pionier des Elektropop, ...
Ein heiliger Ernst umgab den älteren, meist schwarzgekleideten Sakamoto beim Musikmachen: ein schmaler Mann mit immer noch jungsigen Gesichtszügen und immer noch vollem, schlohweißen Haar beim Gottesdienst. Da erinnerte wenig an das, was er auch mal war: Elektropop-Pionier.
Ende der Siebziger wurde Sakamoto Teil des "Yellow Magic Orchestra". Neben "Kraftwerk" die weltweit wahrscheinlich einflussreichste Gruppe im Bereich der elektronischen Musik. Das Trio konterte die deutsche Roboterkälte mit plastikbunter Ironie, erfand nebenbei den J-Pop – und machte aus dem musikalischen Wunderkind Sakamoto einen Star, einen japanischen David Bowie.
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Yellow Magic Orchestra – “Rydeen“ (Official Music Video)
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... geküsst von David Bowie ...
Der küsste ihn sogar, nur auf die Backe zwar, dafür aber gleich zweimal – im japanischen Kriegsfilmdrama "Merry Christmas Mr. Lawrence". Die beiden Popstars spielten darin Seite an Seite. Für Sakamoto ein doppeltes Debüt: als Schauspieler, vor allem aber als Filmkomponist. Noch Jahre später meinte Sakamoto, sein eigenes, miserables Spiel hätte ihn nachgerade traumatisiert.
Die Sache mit der Filmmusik klappte dafür umso besser. Es folgten Soundtracks für Pedro Almodovar, Volker Schlöndorff – und natürlich auch Alejandro G. Iñárritu, für dessen Oscar-prämierten, düsteren Trapper-Western "The Revenant" (2015) Sakamoto (zusammen mit Alva Noto) einen ebenso preiswürdigen Score entwarf: Als würde sich ein Streicherbatallion tief erschöpft durch Schneewehen schleppen. Schritt, Pause, wieder ein Schritt, wieder Pause. Erst im Rückblick wird daraus ein Weg – eine Melodie.
... und gekrönt mit einem Oscar
Bis zum Schluss wurde Sakamoto nicht müde, seine alten Hits immer wieder neu zu bearbeiten. Viele Male verwandelt hat er zum Beispiel seinen Soundtrack zu Bernardo Bertoluccis Kinoepos "Der letzte Kaiser" (1987). Sakamoto sollte eigentlich nur eine kleine Rolle im Film übernehmen. Erst nach dem Dreh bat ihn der Regisseur, doch auch ein bisschen Musik zu machen. Und Sakamoto? Lies sich nicht lange bitten und komponierte binnen einer Woche 45 neue Stücke. 1988 erhielt er den Oscar dafür. Zur Recht: Wie eine Feder lässt Sakamoto die Streicher hier einschweben, schiebt sie dann behutsam auf melancholische Walzerschaft und balanciert dabei trittsicher zwischen westlicher und fernöstlicher Musiktradition.
Als musikalischer Missionar wurde er deswegen auch bezeichnet. In gleich zwei Richtungen: von West nach Fernost – und umgekehrt. Wolfgang Sandner formulierte es in der FAZ einmal noch großzügiger, nannte ihn den "Eine-Welt-Musiker für den Eine-Welt-Laden aktuellen Klanggeschehens". Womit wir wieder bei Sakamoto dem Eklektiker wären. Ein Label, das wahrscheinlich eh viel besser zu ihm passte, als das des Missionars – zu dem Traumwandlerischen, mit dem er verschiedene Stile in seine Musik aufnahm.
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The Last Emperor (Theme)
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In den letzten Jahren engagierte sich Sakamoto sehr für den Umweltschutz
Sakamoto kannte noch ein anderes Wort für sich: Kanarienvogel. So sagt er es in der 2018 erschienenen Doku "Coda", die ihn, kurz nach seiner ersten Krebsdiagnose, als weltzugewandten Einsiedler porträtiert. Wie ein Kanarienvogel im Bergbau sei er, sagt er in einer Szene des Films: Jemand, der früh spüre, wenn etwas schieflaufe, auch gesellschaftlich.
Seit den Neunzigern stellte Sakamoto seine Kunst immer wieder in den Dienst politischer Botschaften. Wurde nach dem Super-GAU von Fukushima zur Galionsfigur der japanischen Anti-Atomkraftbewegung. Und suchte vor allem in den letzten Jahren nach einer Verschmelzung seiner Musik mit natürlichen Sounds: Plätschern, Rauschen, Zwitschern. Vor allem auf seinem späten Album "Async" (2017) kann man das hören. Genauso übrigens wie den Schulterschluss mit der Vergangenheit: der dritte Track ist ein Choral, eine Referenz an den Kollegen, den Sakamoto so sehr verehrt hat wie vielleicht keinen anderen: Bach.
2014 wurde bei Sakamoto das erste Mal Krebs diagnostiziert. Nachdem sie bereits bezwungen schien, kam die Krankheit 2021 zurück. An ihren Folgen ist der Komponist am 28. März 2023 verstorben.
Sendung: "Allegro" am 3. April ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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